Die Çorba des Schicksals
Wie eine türkische Suppe meine ersten Tage im Iran verändert hat. Über den Fluss des Reisens, und Persien als Reiseland.
Es ist wieder Willen ein langer Essay geworden. Wer den Kontext überspringen, und gleich zum Punkt kommen will, blättert vor, zum Absatz: DAS SPIEL.
ZUSAMMENFASSUNG • Wie sogar eine Kleinigkeit wie eine Suppe die Reise verändern kann. • Die ersten Eindrücke aus dem Iran. Ein unglaublich freundliches Reiseland. Beiweitem keine "Achse des Bösen" :) • Über die regionalen Spannungen, zwischen den Azeri's und der persischen Regierung. • Ein Fussballspiel zwischen Ostazerbaidschan und Teheran, wo plötzlich deutlich wird, unter welchem Regime das Land steht, und wie Medien kontrolliert werden.
Die einen lesen im Kaffeesatz ihre Zukunft, die anderen trinken ihn aus. Ich gehöre zu keinem der beiden, da meiner Meinung nach Worte keine Substanz haben. Lediglich eine Notwendigkeit, eine pragmatische Funktion, und keinen Wert, kein Gewicht. Denn das ist variabel, und wird von Person zu Person nach persönlichem Geschmack, und Erfahrung verliehen. Die Wirklichkeit, ich sehe sie aus einem anderen Material, getrennt von der Substanz die man gemeinüblich Worte, Sätze oder Gedanken nennt.
Egal.
Denn als Geschichte kann ich ja schreiben, das ich an jenem Tag die Zukunft vielleicht hätte lesen können, in jener Tasse Corba(türk. Suppe), die von hinten gesehen, meinen ganzen Aufenthalt im Iran auf den Kopf gestellt hat. Obwohl es ja gerade das eigentlich Schöne am Reisen ist, dass jeder Tag so kommt, wie man ihn nicht voraussagen könnte.
Da war also dieser Suppenpalast, einen große Auswahl an Suppen hatte der, sowas hab ich in der ganzen Türkei noch nicht gesehen. Und weil ich intern so etwas wie ein Ranking am am Laufen hatte, war dieser Ort nicht auszulassen. Die Zeit ist knapp, der Bus über die Grenze nach Iran geht in einer halben Stunde. Vorher muss ich noch zur Post um ein paar USB—Sticks nach Hause zu schicken (wer weiß ob die Persische Post da so zuverlässig wäre).
Durch den stehenden Morgenverkehr, zwänge ich mich in Richtung der kleinen PTT Filiale, die trotz gelber Farbe untergeht in den ganzen, bunten, jedoch mit schlechten Grafikdesign gestalteten Tafeln der umliegenden Shops. (Wie man es halt aus arabischen Ländern kennt).
Die Schiebetür öffnet sich, ich finde mich in der ewiggleichen Wirklichkeit wieder, wie sie womöglich in allen Postämtern der Welt regiert. Ein schwarzes Loch hat die lokale Kultur verschluckt, und im Gegenzug eine gelbe Essenz aus Bürokratie und Ordnung verbreitet.
Das Gesetz der Relativität scheint hier besonders tief zu greifen.
Die Zeit laeuft irgendwie langsamer, alles bewegt sich gemächlich, manchmal glaube ich sogar, die Gedanken der Mitarbeiter passen sich dem lokalen Trend an. Naja, nach 6 Minuten Wartezeit (die Schalter öffnen pünktlich um halb neun), und noch etwas Schlange stehen, ist dann alles erledigt, und ich am Weg zum Suppenpalast.
Eine Geldfrage
Mein Gehirn ignoriert gekonnt einen kleinen, wenn auch nicht unwesentlichen Punkt. Ich sollte nämlich noch Geld abheben, denn das Banksystem im Iran, ist aufgrund wirtschaftlicher Sanktionen in sich geschlossen. Kurz, es gibt dort kein Geld für Ausländer.
Doch das fällt mir erst wieder ein, als ich den Palast gerade verlasse (die Linsensuppe kommt mindestens auf Platz 3), und es bleibt mir nur mehr die Wahl zwischen Bus oder Bankomat suchen.
Ich entscheide mich für ersteres, rechne ich doch stark damit, dass schlaue Gehirne so ein Gerät an der Grenze installiert haben. Jeder weiß von den Sanktionen, und ausserdem hat jedes Dorf einen eigenen ATM.
Doch da war meine westliche Logik wieder einmal den örtlichen Gegebenheiten voraus. Denn es gab dort nix, ausser Regen aus Kübeln, riesige Löcher im Boden, und jede Menge Schlamm. Ein paar kleine Häuschen verbunden mit dem obligatorischen engen Gittergang, eingekesselt auf einem Pass zwischen zwei Berghängen. (ich komm mir vor wie in Afghanistan;)
Doch der zuständige iranische Offizier zeigt sich als ein Vorbote der örtlichen Freundlichkeit. Er prüft meine Karten, telefoniert gleich ein paar Banken durch und eröffnet mir keine 5 Minuten später die Lösung: nämlich die Melli Bank in Khoy. Das sei der einzige Ort im Iran, wo ich Geld bekommen kann. Eigentlich wollte ich diese Kleinstadt nahe der Grenze nur als Drehkreuz, für mein heutiges Ziel, nämlich Tabris verwenden, doch jetzt bleibe ich dort übernacht, denn die Banken haben heute schon geschlossen.
Es folgen ein Haufen glücklicher, und von Herzen freundlicher Begegnungen.
Angefangen beim Bahnangestellten, der mir mein Geld zu einen fantastischen Kurs wechselt, indem er von 3 verschiedenen Konten Iranische Rial abhebt. Dann sein Kollege, ein junger IT Techniker, der sich mit mir auf den Weg in die Stadt macht, ein leistbares Hotel sucht, und mir eine SIM Karte besorgt.
Der nächste ist der Angestellte meines Hotels: er lässt den Staubsauger fallen, um mit mir ein Internetcafe zu suchen. Ok es gibt keines, auch kein anderes Cafe mit Wifi.
Eine tolle 180.00 Leute Stadt. Nur halt WLAN-LOS.
Ich spaziere durch die Stadt, connectionslos, ahnungslos, und abwartend was kommt. Denn irgendwas kommt immer.
Und es ist Amir, ein 21-jähriger Student, der gerade mit seinen Kumpels an der Straßenecke rumlungert, und sich meinen Quest nach Internet ganz besonders zu Herzen nimmt. Fast schon etwas zu viel für meinen Geschmack. Und gar nicht lange dauert es, da kann der befreundete Computernerd in seinen Schreibwarenladen zwei Ecken weiter, einen Hotspot aufspannen. Schöne vertraute Welt!
Erste Schritte auf der “Achse des Bösen”
Gelernt haben wir, dass es keine genetische Veranlagung für das Verhalten, und unsere Eigenheiten gibt. Doch ist es schwierig diese unaufdringliche Art der Gastfreundschaft anders zu erklären. So etwas bekommt man sonst nur in 5-Sterne Hotels (nur dass man dort auch spürt, dass die Leute dafür bezahlt werden). Hier ist es wahrscheinlich, so etwas wie ein Ehrenkodex, der sich nahtlos in das respektvolle Verhalten untereinander einpasst.
Auch sind alle wunderbar neugierig. Zum Beispiel auf Europa, (Die wenigsten die ich treffe, haben den Iran schon mal verlassen) dieses Land, dass sie alle nur aus dem (verbotenen) Satelliten Fernsehen kennen. Das ihnen so spannend, und frei erscheint, vielleicht einfach nur, weil es ihnen fremd ist (so wie mir der Iran).
Zumindest komme ich mir schon ein bisserl wie ein Alien vor, wenn ich durch die Strassen gehe.
Nicht unangenehm, nein überhaupt nicht! Viel mehr freundlich ist die Resonanz, gegrüßt wird man meist mit einem Lächeln, manchmal verdutzt, manchmal schelmisch angschaut, aber immer ehrlich und von Herzen kommend.
Und nicht selten wird man angesprochen, zwar beschränkt sich das Gespräch mangels Kenntnisse, meist auf wenige Brocken oder Phrasen, aber es ist trotzdem eine sehr freundliche Geste, weil der Gegenüber, wie man spürt, versucht ist, einem ein gutes Gefühl zu vermitteln.
Und gerade die Jungen, haben viel dabei zu kichern, wenn einer aus der Gruppe sich traut den Fremden zu anzusprechen. Dann wird getuschelt, und von jeder Seite wird man bedrängt, das eine oder andere Wort nachzusprechen. Als nächstes gilt es, Standardfragen zu beantworten. Die geschieht meist unter Zuhilfenahme von Smartphones, wenn der Englisch sprechende Freund gerade nicht zur Hand ist.,
Azerbaidschan liegt im Iran
Das legt sich auch nicht als ich schon seit 20Minuten im Konferenzraum des lokalen Fußballklubs sitze, in den mich Amir nach der Internet Episode gebracht hat. Neben Tee und Mandel-Zitrone Muffins werde ich eingeweiht in die lokalen Traditionen, und ohne Umschweife eingeladen zum Match gegen “Naft” Teheran, dass am Freitag in Tabriz, der „Hauptstadt Ostazerbaidschans“ stattfinden soll.
Der Fußballklub Tractor steht stellvertretend für den Teil von Iran, der sich Ost- und West Azerbaidschan nennt. Eine Region die nicht so ganz warm wird, mit den Traditionen Persiens. Sie hat ıhre eigene Kultur, und auch die Sprache ist eine andere, Azeri – mehr Türkisch als Farsi, das übrigens nur sehr ungern, wenn dann nur in offiziellen Belange verwendet wird.
Viele sind sowieso mit der Regierung nicht zufrieden, und nicht wenige träumen von der Unabhängigkeit, so wie damals als nach Beginn der Irankrise (1945) kurzzeitig eine Demokratie (die erste in einem muslimischen Land) gegründet wurde.
Dorthin möchten sie zurück, sagt Amir, der das Gefühl der Region immer wieder mal mit Katalonien vergleicht. Man will die Unabhängigkeit, frei sein von den Zwängen der iranischen Regierung, keine Benachteiligung mehr gegenüber den anderen alteingesessenen Regionen Irans.
Jeder hier hat andere Geschichten, seien es Fabriken, deren Bau abgebrochen wurde, weil die Regierung sie gerne woanders hätte, die unterschiedliche Wohnbauförderung, oder die mangelnden Investitionen an öffentlichen Geldern. Man meint bewusst benachteiligt zu werden. Und dann gibt es noch andere Resentiments, doch habe ich das Gefühl die Meinung ist deswegen etabliert, weil sie schon immer da war. Begründungen muss man den Leuten aus der Nase ziehen. Mit so einer festgefahrenen Linie im Volk, ist es selbst für einen liberaleren Präsidenten wie Rohani, von dem auch viele sagen er sei besser, nicht einfach den Spieß umzudrehen.
Dazu kommt noch eine junge Generation, die in vielen Aspekten ganz anders ist, als ihre die ihrer Eltern. Sie leben ein Leben, dass nicht mehr viel mit den Vorgaben der Scharia zu tun hat, warum auch? Ihre „Freihandelszonen“ sind Cafes, das Internet, und der Freundeskreis. Auch wenn das System das gerne anders hätte, wird das offizielle Bild angesichts dessen, natürlich ad absurdum gestellt.
Dazu die aktuelle Wirtschaftslage, die sich auch nicht gerade positiv auf den Konformismus, und das erstrebte Familienleben (Al-Monitor) auswirkt. Da stellt sich die Frage, wie lange solche Paradigmen halten werden, wenn die Substanz auf der sie stehen, früher oder später ihren Halt verlieren wird.
Amir beklagt sich trotzdem, dass viele junge Leute hier zwar gegen die Regierung sind, es aber lieber dabei belassen diese Unzufriedenheit unter sich auszutauschen. Das bequeme, sichere Leben dem offenen Widerstand gegen das System (das überall seine Spitzel hat), vorziehen. Ich sehe schnell, dass bestimmte Dinge, nicht im Bus oder nur ungern auf der offenen Straße besprochen werden. Für die Privatsphäre gibt es das Wohnzimmer.
Und so verstehe ich langsam den bedeutungsschweren Doppelboden dieses Fußballspiels, wo die andere Mannschaft als Stellvertreter für die Regierung herhalten muss.
Der eigene Sieg soll zeigen, dass man auch alleine stehen kann. Das wäre zumindest mal das erste Zeichen die Richtung, und das erste Mal der nationale Titel, seit 45Jahren. Und Fußball ist hier keine Kleinigkeit.
DAS SPIEL
Nicht weniger bedeutungsschwer fühlt es sich zumindest an, als wir an diesen Freitag Nachmittag auf dem Weg ins Stadion machen. Es liegt in einer Hügelkette, wahrscheinlich um die 20km ausserhalb der Stadt. Die Taxis fahren nur einen Teil des Weges. Der Rest ist abgesperrt. Die Polizei hat sämtliche Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Es sind auch Einheiten aus den benachbarten Regionen eingefordert worden. Wahrscheinlich will man darauf vorbereitet sein, falls das Team aus Tabris gewinnen sollte.
Ströme von Menschen, machen sich bereits jetzt, mitten in der Nachmittagshitze entlang der kurvigen Auffahrtsstraße auf, Richtung Stadion. Das Spiel beginnt um halb-neun abends. Dreissig Minuten Fußmarsch, nach der letzten Beugung sehen wir das riesige Stadion, majestätisch eingebettet zwischen zwei Hügeln, eingezäunt nur von der Natur.
Fünf Stunden vor Spielbeginn. Das Stadion ist voll!
Sämtliche Ränge sind bereits besetzt mit roten Trikots. Wuchtige Schlachtrufe bersten gegen die Talwände. Keiner der Fans, hat eine derartige Szenerie schon mal erlebt. Die Unterstützer der gegnerischen Mannschaft haben hier gar keinen Platz. Sie trauen sich auch nicht her. Das Stadion ist in der Hand von Traktor.
70.000 Menschen haben Platz, bis zum Anbeginn des Spiels, werden es knappe 90.000 werden, die sich auf jedem freien Quadratmeter drängeln.
Wir haben glücklicherweise noch ein paar Sitzplätze ergattert, Amirs Freunde sind schon seit Vormittag hier. Die wahnsinnige Athmosphäre wirkt wirklich. Das erste Mal kann ich die Begeisterung für Fußball ganz gut nachvollziehen. Gleichzeitig wird mir klar, dass eine solche Energie, nach Ende des Spiels nicht einfach verschwinden kann. Ganz egal wie’s ausgeht.
Die Sektoren schaukeln sich mit ihren Parolen und Gesängen gegenseitig auf. Eine riesige Flagge, die ein Viertel des Stadions einnimmt, geht durch die Reihen.
Und während langsam die Sonne hinter den Bergen verschwindet, ertönt aus den Lautsprechern, die Aufstellung der gegnerischen Mannschaft. Nicht zur Erheiterung des Publikums, die jeden einzelnen Spielernamen mit „Zerreißen“ oder „Loch“ kommentiert, während mit den Namen der eigenen Mannschaft ein neuer Klimax erreicht wird. Ich frage mich, wie man diese Art von Euphorie bis Ende des Matchs durchhalten will.
Doch sie verliert sich, auch während des Spiels, nicht. Jede einzelne Bewegung des eigenen Teams bewegt auch die Menge. Sobald ein Spieler der eigenen Mannschaft fällt, ganz gleich ob gefoult oder nicht, erhebt sich die mächtige Stimme der Masse. Die Leistungen der anderen Mannschaft werden überhaupt nicht kommentiert. Schon ein ganz eigenes Erlebnis, ein ganzes Stadion mit nur einer Mannschaft.
Das 0:1 für Naft Teheran, das schon nach 15 Minuten fällt, habe ich das gar nicht mitbekommen. Ungläubige Gesichter. Und trotzdem, ich werde das Gefühl nicht los, der Schiedsrichter pfeift empfindlich schnell, für unser Team. Eine Erklärung dafür wäre die Macht der Zuschauer, die man nicht reizen will. Und ich scheine nicht der Einzige zu sein, der so denkt.
Ich habe die Wolfszeichen am Anfang des Spiels gesehen, und ihr Heulen (während der Koran rezitiert wurde), gehört. Wer sich traut, hier so ein Statement zu setzen, sagt schon einiges über seinen Standpunkt aus.
Zuerst waren es nur wenige, langsam werden es mehr. (Sie erreichen nicht die kritische Schwelle). Auch ich werde aufgefordert es ihnen gleich zu tun, doch sofort wird mir von anderer Seite zugeraunt, es besser zu lassen. Im Publikum sind Agenten verteilt. (Das können ganz normale Leute sein. Vielleicht dein bester Freund, den du seit 5 Jahren kennst. Und eines eines Tages findest du dich im Gefängnis wieder, weil du irgendwann mal die falschen Dinge gesagt hast. Alles schon passiert.)
Auch die Drohnen sind nicht fürs Fernsehen da, heißt es. Und die ‘jungen’ Herren, die dort so unten so unbeweglich am Spielfeldrand stehen, und ihren scharfen Blick nicht von der Menge lassen, gleichen auch mehr ‘Profilern’ als Polizisten. Ich frage mich ob ich langsam paranoid werde, oder mein Verhalten anpasse.
Auf jeden Fall kann ich gut nachvollziehen, das es nicht recht leiwand ist, in einem System zu leben, wo sogar dein Schatten eine unsichtbaren Begleiter hat, oder noch schlimmer, haben könnte.
Es ist Halbzeit. Traktor hat sein Ergebnis zu einem unglaublichen 3:1 aufgebessert, und entsprechend hoch ist die Stimmung.
Der Dämpfer kommt wie das Amen in Alphabet: der beste Spieler von Traktor (und wahrscheinlich ganz Iran) Andranik Teymurian bekommt plötzlich eine rote Karte. Gerechtfertigt? Wohl eher notwendig. (Ähnliches passierte auch auch beim Spiel der Azeri Volleyball Mannschaft, als sie auf den Titel steuerte)
Bewegung kommt ins Stadion
Der Rest der zweiten Hälfte entwickelt sich nicht gut. 3:2 für Naft, und 15 Minuten vor Schluss, der Ausgleich. Die Stimmung schwankt.
Es wird interessant.
Auf der anderen Seite beobachten wir, wie vereinzelt, Leute rausgebracht, und Ränge geleert werden. Dieses Spiel hat viel mehr politische Dimension als ich dachte. Jemand bemerkt, dass einige iranische Flaggen, die normalerweise am Stadiondach wehen, entfernt wurden. Die Regierung will brennende Banner vermeiden, erklärt man mir.
Bei einer so grossen Masse braucht es keine Worte, um zu spüren, wenn Dynamik aufkommt. Aufgeregtes Hin und Her, es dauert eine Weile bis sich jemand findet der übersetzt. „Es gibt zeitgleich ein Spiel in Isfahan, das Team dort hat 2:2 gespielt, das heißt Traktor würde auch mit dem 3:3 Meister sein!
Das waren dann die letzten bangen Minuten, und als der Schlusspfiff erteilt, geht eine unglaubliche Welle der Euphorie durch das Stadion. Traktor ist nationaler Meister! Die Absperrungen und die paar Polizisten halten die Leute nicht auf. Zehntausend Leute stürmen auf das Feld.
Und trotzdem gibt’s bei uns einiges Gewusel. Irgendwie scheinen die Leute ratlos. Aufgeregtes Schnattern.
Einige behaupten dass Spiel in Isfahan ist gar nicht zu ihren Gunsten ausgegangen, es wären die Agenten der Regierung, die dieses Gerücht im Publikum gestreut hatten.
“Aber das ist doch nicht möglich, sogar der Stadionsprecher hat gesagt wir müssen nur durchhalten“ Man versucht telefonisch Freunde zu erreichen. Doch das Handynetz wurde schon vor 5 Minuten abgeschaltet.
Nichtsdestotrotz, das Lauffeuer der Wahrheit, irgendwo war wahrscheinlich ein Funken, verbreitet sich wie ein Fluch, und in rasender Geschwindigkeit.
“Das würde heißen die Regierung habe uns betrogen!”
„They betrayed us. Again! They played with us“
Und die Addition der schlechten Erfahrungen wird um eine Zeile reicher. Zumindest ist es das was ich mir zusammendichte, als die ersten Flaschen beginnen von hinten Richtung Spielfeld zu fliegen. Meist treffen sie auf die eigenen Leute, doch geht es darum, der eigenen Wut Ausdruck zu verleihen. Die ersten machen sich auf, das Stadion zu verlassen. Andere beginnen inzwischen Sitze rauszureißen. Als Wurfgeschosse gegen die Polizei. Feuerzeuge, Kameras, etc. sind zwar verboten, aber natürlich trotzdem da.
Und ich denke mir: es ist eine schlechte Idee mit der Emotion von so vielen Leute gleichzeitig zu spielen. Es scheint, als sei hier einiges Pulver unter den Leuten, nur fehlte halt immer die Zündschnur und der Funken.
Man kann nicht vorhersehen, was als nächstes passieren wird.
Leute strömen die unteren Ränge herauf. Gepanzerte Polizeieinheiten räumen das Stadion von innen heraus. Teile fliegen von hinten. Auch wir müssen raus, die Polizei ist Gottseidank nicht allzu aggressiv, aber Alternative bleibt uns auch keine.
Vorbei an beißenden Rauchschwaden und brennenden Sitzen in Richtung Ausgang.
Draussen, richtiges Chaos. Riesige Mobs bewegen sich an verschiedenen Stellen gegen die Polizei. Steine sind die Waffen der Leute. Eine sonderbare Szene: der Platz, und die hügeligen Strassen rund um das Stadium sind das unregelmäßige Licht schummriger Laternen getaucht. Es gibt nur zwei Wege runter. Rundherum Bewegung, Menschen. Lärm. Die Sterne über uns, und die Hügel um uns herum, scheinen die Einzigen die dem Spektakel ganz unbeweglich beiwohnen.
Das ist der Punkt wo ich gerne meine Kamera mit dabei hätte. (aber damit wäre ich wohl gar nicht ins Stadion reingekommen)
Amir macht sich mit ein paar Leute Richtung unteren Stadioneingang, wo sich die Polizei inzwischen verbarrikadiert hat. Reza, mein Übersetzer, und ich folgen ihm. Wer weiß, wozu er in seinem Übermut fähig wäre. (er hat schon vorher erwähnt, dass er bereit wäre sein Leben für die Zukunft von Azerbaidschan zu opfern)
Wir sind ganz vorne in dem losen Haufen Leute, die sich immer wieder mal vor und zurück bewegt. „Guns. They have Guns“ schreit irgendwer, (in Azeri natürlich, aber die Übersetzung läuft nahtlos;) als sich das Tor öffnet.
Ich hefte mich mit Reza zusammen, und wir suchen Deckung hinter einer Steinmauer. Wir versprechen uns, uns nicht zu verlieren, es wäre keine gute Zeit, um Soldaten Englisch beizubringen. Amir ist irgendwo anders, ausser Sichtweite.
Weiter zurück. Wir klettern auf die Brücke einer Strassenunterführung. Unter uns gehts rund. Weiter weg sehen wir den Strom Menschen der in Richtung Stadt drängt. Links kommt schon die nächste grüne Wand mit Helm und Schild. Die Alternative auf der anderen Seite der Brücke: schwarze gepanzerte Einheiten auf ihren Motocross Maschinen. Wir entscheiden uns für die grüne Option. Am Rand der Formation schaffen wir es mit den Zauberworten „Tourist“ und „Autriche“ hinter die Polizeilinie. Und unser Glück, denn die aggressiven Leute waren gerade woanders.
Fürs erste scheints sicher zu sein. Wir warten ab, bis sich die Steinschusslinie nach weiter unten versetzt hat, und nutzen die Zeit um mit einen jungen Polizisten zu sprechen. Er hat seit 5 Tagen seine Familie nicht mehr gesehen, weil sie alle auf dieses Ereignis vorbereitet wurden. Dass aber, ohne großartig über irgendwelche Hintergründe informiert worden zu sein.
Er redet überraschend ruhig, und nüchtern. Sagt, er kann die Stimmung der Leute nachvollziehen. (obwohl er selbst von Steinen getroffen wurde) Ich glaube er war 22 Jahre alt.
Generell, und um kein falsches Bild zu vermitteln: Im Nachhinein betrachtet, war die Polizei (für dieses Regime) sehr kontrolliert in ihren Aktionen. Sie schritten nur bei direkter Eskalation ein. Davon gabs halt einige. Auf den Weg nach unten sehen wir die Straßen, die voll waren waren mit Steinbrocken (Stücke teilweise bis 60cm groß), und verletzte Demonstranten. Ich habe mich wirklich gefragt, was die Leute dazu bewegt, die sonst so unglaublich friedlich sind, so viel für eine Meinung zu geben. (Und irgendwie habe ich das Gefühl, es gibt noch ein paar Puzzle Teile, die ich nicht kenne.)
Am Ende der Auffahrt, empfehlen uns die Spezialeinheiten in einem der Autos in die Stadt mitzufahren. Obwohl die Strassen verstopft sind.
Wir landen bei Saleh, und seinen lustigen Freund. Zwei iranische Bärenväter, mit Hang zu Komödianten. Die Fahrt ist sehr unterhaltsam, ich werde bis vors Hotel gebracht, und auf die anstehende Hochzeit eines Freundes eingeladen.
So ist der Iran. Ein Spiegel mit zwei Seiten. Verwurzelt in seinen alten Traditionen, wächst darauf aber auch die Herzlichkeit. Beides Erbstücke der selben Geschichte.
In der Liveübertragung im Fernsehen, und auch in den Zeitungen in den daruffolgenden Tagen war nichts von dem Ausfällen zu sehen. Es wird zwar das Missverständnis thematisiert, nicht aber die Umstände und Folgen. Sie sind natürlich auch unter Kontrolle. Genauso wie das Internet, das streng gefiltert wird, und Platformen wie Youtube, Facebook, Twitter, Tumblr,… von vornherein blockiert. Die Regierung würde sich ansonsten schwer tun, all diese Ströme unter Kontrolle zu halten, schätze ich.
DIE “40 METERS”
Mit Amir, der Gottseidank unverletzt geblieben ist, fahren wir am nächsten Tag in einen ganz entlegenen Streifen von Tabris. 40-Meter heißt die Ecke (oder Strasse), die vor allem dafür bekannt ist, dass sämtliche Revolutionen hier begonnen haben.
Die Leute sind arm, aber gebildet, und haben eine Meinung. Und vor allem, nichts zu verlieren. Kein bequemes Leben, keinen Status. Diese kleine Region war immer schon Indikator für einen Umbruch, heißt es. Wenn auch schwer zu finden, denn nicht jeder den wir fragen weiß wo wir sie finden.
Und als wir dort sind, nichts. Scheinbar hat sich auch gestern nichts getan. „Sie haben das Spiel zu spät angesetzt“, seufzt Amir. Dadurch hat die ‘Demo’ nicht auf die Stadt übergegriffen. Seine Theorie.
Die nächsten Tage gibt es vereinzelt Ansammlungen im Stadtzentrum. Aber immer gut bewacht durch die Polizei. Demos die angemeldet sind, werden auch dementsprechend beobachtet. Unangemeldet, landet man wahrscheinlich im Gefängnis.
Auch als am kommenden Mittwoch, Präsident Rohani seinen jährlichen Besuch (in einen kleinen Stadion in der Stadt) absolviert, gibt’s keinerlei Zwischenfälle.
Ein kleiner Straßenzug mit Traktor Trikots fordert kleinlaut die Wiederholung. Einig besonders Mutige meinen, sie wollen ihm die rote Karte zeigen. Hab ich aber nicht gesehen. Das Stadion war schon voll (mit Unterstützern). Rohani ist elegant, und sagt, dass hier wohl etwas schief gelaufen sei. Man könne das Spiel ja wiederholen, wenn die FIFA einwilligt (was wohl nicht passieren wird).
Amir findet es jetzt trotzdem gut. Er meint vielleicht ist dies ein Baustein auf dem Weg in die Freiheit der Region Azerbaidschans, nachdem die Leute wieder mal gesehen haben, wie die Regierung mit ihnen umgeht.
Für mich ist es trotzdem noch ein kleines Enigma, wie das alles so weitergehen kann, nach dem was Freitag Nacht passiert ist. Andere Leute meinen, es fehlt die kritische Masse, oder „es passt schon“ (gut das sagt eigentlich keiner den ich getroffen habe, aber sie handeln wohl danach).
Und das ist ja auch nicht so viel anders wie bei uns, wo jeder mit der Politik unzufrieden ist, und keiner was macht.
*Namen geändert. Videos und Sounds aus dem Stadion sind von Freunden.
Eine weitere Reisegeschichte die sehr gut das Bild des Irans vermittelt ist diese (Vimeo).
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