Alleine Reisen


 
Ist man alleine unterwegs, sieht man sich früher oder später mit der Frage konfrontiert: warum man denn, entgegen bewährter Manier, als Einspäner durch die Landschaft ziehe. Resorts und Urlaubsdestinationen gäbs ja viele, ebenso wie Leute die da hinwollen.

Genau genommen, hab ich’s selber nicht gewusst, als ich vor zwei Jahren zum ersten Mal alleine losgefahren bin. Es war eine gefühlsmäßige, keine zu Ende gedachte Entscheidung…

 

Inzwischen verstehe ich’s ein bisschen besser (nicht zuletzt auch, weil ich die Tage ein sehr interessantes Buch 🔍 über Hirnforschung gelesen habe, was es einfacher macht, sinnvolle Worte zu finden ;)

Reise als Labor

Auf den ersten Blick, scheint eine Soloreise bei weitem keine populäre Möglichkeit, seinen ‚Urlaub‘ zu verbringen. Doch einmal unterwegs, trifft man viele, die ähnlich gesinnt, sich am alten Handwerk der Neugierde probieren. Oft sind es ‚junge‘ Backpacker, manchmal eher eine bestimmte Spezies von Vagabunden die Monate, oder gar Jahre unterwegs sind, und dabei jeden Tag aufs neue ‚dem Fluss des Lebens‘ vertrauen.

Meist reicht schon eine Bekanntschaft aus, um in den erweiterten Freundeskreis einer Gegend einzusteigen. So wie mit Faraz in Tabris, Iran

Dieses Vertrauen ist wichtig, wie mir scheint, ansonsten setzt man sich allzuschnell dem Fremden aus, macht sich innerlich Feinde, oder düngt seine Sorgen. Denn gerade diese Art zu Reisen bietet viele gute Gelegenheiten um zu wachsen, und damit komme ich meiner damaligen Idee nahe:
Man kann unterwegs seinen vertrauten Ideen und Ansichten treu bleiben, oder versuchen sich dem Unbekannten zu öffnen🔍 , und seinen eigenen „Ängsten“ zu begegnen, welche man vielleicht gar nicht zu haben glaubte, die einem aber doch irgendwie den Weg weisen, kurz: die ein oder andere Entscheidung vorwegnehmen.

 

Eine Reise kann ein Labor sein, wo man sich frei von den ganzen Strängen, die Zuhause in verschiedensten Richtungen spannen, beobachten, ausprobieren und lernen kann. Zwangsweise entdeckt man Dinge, die den Umgang mit fremden Menschen direkter oder einfacher machen können, in unserer Kultur aber etwas unter die Räder der Effizienz geraten sind, wie zum Beispiel:

Aufrichtigkeit

Ich glaube, wenn man als junger Mensch etwas gut machen kann, dann indem man seine Aufrichtigkeit nährt. Und das betrifft nicht nur die Beziehung zu anderen Menschen, sondern bedingt gleichzeitig auch Ehrlichkeit sich selbst und seinen eigenen Gefühlen gegenüber.

„Aufrichtigkeit und Butter sind durch nichts zu ersetzen!“

Man kann sich sehen, sich eingestehen, dass man Angst hat, wenn man in einer unbekannten Stadt ankommt, weder eine Unterkunft, noch sonst viel Ahnung hat, dann gleichzeitig aber auch sehen, dass es gesünder ist, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen.

 

Man kann dem Taxifahrer seinen offensichtlichen Aufschlag eingestehen, weil man versteht, dass er es nur deswegen tut, weil es in seiner Realität die bessere Entscheidung ist.
Man sieht viele Weltbilder, alle für sich legitim, alle in ihrer Einzigartigkeit geprägt von vorangegangen Erfahrungen. Und das relativiert die Sicht. Man versteht sich selbst und den Menschen als solches besser, wenn man sieht, das dass, was hier unmöglich scheint, 500 Kilometer weiter gang und gäbe ist.

 

Was ist denn schon unmöglich, wenn der Wert jeglicher Erscheinung, lediglich vom Kontext der jeweiligen (persönlichen) Realität abhängt?

Vertrauen

Hüther Gerald, „Wer wir sind, und was wir sein könnten. Ein neurobiologischer Mutmacher“, 2011 Fischer Verlag

Irgendwann kommt dieses Gefühl, dass man sich fallen lassen kann, und damit auch alle Bedenken. Dann kommt man irgendwo hin, und ‚es wird sich schon ein Platzerl finden‘. Alles läuft irgendwie von selbst ab. Und auch, wenn etwas Negatives passiert, wer weiß denn schon was die Folge darauf ist?

 

In diesem Fluss einmal drin, geschehen die besten Dinge. Wer dazu noch eine antiquierte Tradition wie Dankbarkeit ausgräbt, ab und zu von Herzen gießt, der wird eine grandiose Zeit haben. Warum? Keine Ahnung. Vielleicht weil Menschen auf Menschen reagieren, oder die Umstände anders sind. Vielleicht ist es auch nur die eigene Realität die sich ändert, aber was hat man denn schon anderes als die eigene Realität!

„Vertrauen ist das, was man gewinnt, wenn man länger alleine unterwegs ist.“

Jedenfalls ist es dann einfacher, nicht alles allzu eng zu nehmen. Denn die Realität, vor allem dort wo sie uns fern, und zu allem Möglichem bereit ist, wird da reiben, wo die Ecken und Kanten unserer persönlichen Befindlichkeiten sind. Und je „runder und weicher“ man wird, umso angenehmer ist der Fall durch den unkalkulierbaren Raster der Fremde.

 

Gerade, wenn man mit Unsicherheiten konfrontiert wird, oder einmal schlechte Erfahrungen macht, denke ich, ist man es sich selbst, und auch allen anderen Menschen mit denen man verkehrt schuldig, diese nicht als schlecht zu verbuchen. Denn das sind dann die Freiheitsgrade, die einem in der nächsten ähnlichen Situation fehlen.

 

Man verliert Freiheit, weil man Angst hat, die vielleicht schmerzhaften Wunden, an der Luft heilen zu lassen. Dann findet man sich allzuschnell in einem Leben mit Konstanten und Sicherheiten wieder, oder gar in der Position Macht ausüben zu müssen, um mögliche „Angriffe“ auf Distanz zu halten.

 

Wenn ich in den acht Jahren Aikido etwas gelernt habe, dann das die Notwendigkeit, an einem bestimmten Punkt kämpfen zu müssen, nicht von der Situation, sondern nur von einem Selbst abhängt. Und dieses Prinzip gilt meiner Meinung nach für physische, und psychische Momente.

Reisen als Spielwiese

Inzwischen glaube ich, dass dies einer der Hauptgründe war, warum ich begonnen habe, alleine zu reisen. Es ist nämlich die perfekte Spielwiese, um dem Unbekannten Aussen und Innen zu begegnen. Man kann den Grad in dem man in die Fremde eintaucht, auch gut regulieren.
Man kann sich je nach Vorlieben und Interessen, den neuen Lebensweisen und Vorstellungen nähern, und die oft verkümmerte Neugier🔍 wiederfinden.

 

Man kann ganz fremde Menschen kennen lernen, deren Verhalten beobachten, Märkte, Speisen, oder überhaupt neue Überzeugungen entdecken.
Das ist zumindest, was mir am meisten Spaß macht. Sei es auch nur, um eine Idee davon zu bekommen, was es heißt, einen Schleier zu tragen, oder sich jeden Morgen im Hof vor Allah zu beugen.

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Hätte Ali vom Farbenladen in Nablus, Palestina uns nicht zufällig auf der Strasse aufgelesen, hätte ich die darauffolgenden Tage sicher nicht so viel von seinem Land gesehen und verstanden.

Alleine oder nicht

Ich finde eine Reise hat einen etwas anderen Geschmack, wenn man mit Menschen aus der eigenen Kultur unterwegs ist. Der Kokon aus der bekannten Sprache und altbewährten Ansichten ist dann schwerer abzulegen, und wird vielleicht auch die hin und wieder ’nötige‘ Barriere bilden. Man wird nicht umhin kommen, die fremde Welt immer ein bisschen durch Augen seiner Mitreisenden zu sehen.

 

Während man alleine (und vielleicht gar ohne Reiseführer) unterwegs, sehr abhängig, und auf lokale ‚Informationsspender‘ angewiesen ist, und sich gleichzeitig wie ein Dieb in das tägliche Leben und die Kultur einschleicht. Alles was dann in einem auftaucht, ist nur eine Spiegelung seiner selbst.

(c) Nicolas Mahler
(c) Nicolas Mahler

Aber jeder nach seinem Geschmack. Schlussendlich, ist es so oder so, ein Geben und Nehmen, dass sich in vielen Ebenen, und für beide Seiten auszahlt. Es hat jede Erfahrung, wenn man will, einen Wert der weit ins Positive, oder besser gesagt ins Wertvolle geht.

 

Es ist eine subjektive Ansicht, man kann die Welt genauso gut durch Konzepte, oder Analogien betrachten, die Frage ist vielleicht, ob es denn nicht mehr Sinn macht die vielen individuellen Realitäten höher zu bewerten, als dies gegenwärtig der Fall ist. Jedenfalls hat jeder, immer die Möglichkeit zu wählen. Was man nimmt und was nicht. Wo man hinfährt, und wo nicht.