Bei den Aussteigern in Griechenland

Bei den Aussteigern in Griechenland

„Nein, heute kommt da nichts mehr! Da musst du schon bis morgen warten. Zu Mittag ist die nächste Fähre.“Der dürre alte Seebär ist der einzige der hier im kleinen Hafenrestaurant Englisch spricht. Dem Auftritt nach mehr ein Obdachloser. Unrasiert, Gegerbtes Gesicht, schlechte Zähne.
Doch irgendetwas passt nicht so ganz, sind es sein wachen Augen, sein aufrechter Sitz? Er war nicht immer so einer, das ist sicher.
Mit übereinander geschlagenen Beinen erzählt er von früher, wo er noch auf den Frachtern gearbeitet hat, oft Übersee. Die Landgänge, das sind die Tage die im Kopf bleiben, meint er. Man kommt von der Weite des Meeres, und taucht kurz ein, in den Trubel gewöhnlicher Leute, und fremder Hafenbars.
In Amerika, sagt er, ist er mal hängen geblieben. Hat eine tolle Frau kennengelernt. Seine Tochter ist auch heute noch dort. Hin und wieder, eigentlich ziemlich selten, treffen sie sich noch.Viel Wehmut liegt in der Luft, doch wie ein sturer Strom der nicht versiegen will, erzählt er mehr. Obwohl er so reserviert scheint, wie Einer den der Gegenwind des Lebens schon öfter zu Fall gebracht hat, etwas muss er loswerden.
 Er der soviel mit sich herumträgt, wird hier im kleinen Küstendorf nämlich nicht fallengelassen. Da ist der Wirt der ihm ab und an seinen Cafe bringt, und jeder weiß, dass sein Schlafplatz im leerstehenden Hauses neben der Bäckerei hat. Mit seiner mickrigen Rente allein, könnte er das Leben nicht bestreiten. Zum Essen wärs gerade genug. Und mit der staatlichen Unterstützung ist es nicht weit her. Gerade in letzter Zeit. Wo die Krise beginnt, sich in den Ritzen und Spalten des Systems zu zeigen. Man spürt es überall, sagt auch der Wirt. Das Wasser steigt, den Kleinsten steht es schon lange zum Hals. Und die sind es, die als erstes ertrinken. Ein Jammer.

Das interessiert mich. Genau deshalb wollte ich nach Griechenland. Um zu sehen, wo die Krise wirklich ist, und wie es sich auf die Menschen auswirkt. Wie überlebt man, wenn man kaum noch was hat, ausser Schulden? Werden sie von den Freunden, oder Familiennetz aufgefangen? Kommt er wieder zurück, der Sinn für Gemeinschaft, in einer Gesellschaft, die eigentlich Individualismus und Selbstverwirklichung zelebrieren wollte? Wie viele Leute müssen tatsächlich arbeitslos werden, bevor genug auf die Barrikaden steigen, und sich das System tiefgreifend ändert? Oder werden gar kleine Strukturen wieder attraktiv? Ich möchte mich mit Jenen treffen, die schon länger ausgestiegen sind, und versuchen autark, oder zumindest unabhängiger zu leben. Das heißt, im Einklang mit der Natur, dem einzig veritablen Gegengewicht zum kapitalistischen System.

– Das erste Projekt ist Sarakiniko, eine Kommune mit 200 Leuten, die in den 70-er Jahren auszogen um sich das Paradies zu schaffen. Heute sind es kaum 70 Übriggebliebene, die sich die 72 Hektar große Halbinsel auf Ithaka teilen.

– Dann weiter zu Free&Real einem Projekt auf Euböa, das aus der virtuellen Welt in die echte getreten ist. Eine Gemeinschaft will die Nachhaltigkeit neu erfinden, und verbreiten. Ein junges Experiment, verstärkt durch Soziale Medien. Man lebt in Jurten und bastelt am autarken Bergdorf.

– Am Ende geht eine Fähre nach Kreta, wo eine Französische Aussteigerin mit einem alten Gitarrenvirtuosen aus Mali lebt. Abgeschieden zwischen Olivenhainen, einem Haufen Hühner und dem störrischen Esel, gibts vor allem eines: jede Menge Arbeit. Denn das ist der Preis für die Unabhängigkeit.

Die Kommune Sarakiniko

Kleine Häuschen, verbunden durch kleine Gässchen.

Ich habe die Nacht im Vorgarten einer netten alten Bulgarin, im Zelt verbracht. Die Fähre am nächsten Tag landet pünktlich. Auf dem Weg in das große Schiffsmaul, treffe ich Hans-Peter. Ein Deutscher, Medizin/Pharma-irgendwas. Er weiß einiges über Sarakiniko, wie sich herausstellt, hat er sich selbst vor einiger Zeit dort ein Häuschen errichtet. 
Ich lasse ihn erzählen, bohre nicht nach. Er ist ein Denker, mit unruhigem Seitenblick. Misstrauen, sein ständiger Begleiter. So ist es auch gut, dass ich seine Seite der Geschichte höre, die eines Skeptikers:
Das Projekt begann Ende der 60-er. Die Zeit wo die Hippie Generation auch in Deutschland begann Fuß zu fassen. Der Künstler Wido Buller war der eigentliche Initiator. Seine Idee: 200 Leute zu finden, die verrückt genug waren 10.000 Mark einzulegen, und damit einen Anteil im neu geschaffenen Paradies zu erhalten. Mit der ersten Million soll der Grund gekauft werden, und die zweite soll das Leben für 3 Jahre, nebst Investition in Häuser und Infrastruktur sichern.

Danach will man sich autark, und mit etwas Nebenerwerb aus Kunst und Handwerk erhalten. Natürlich grün, ohne Spritzmittel, im Einklang mit der Natur, und den Menschen. Ohne Autorität, frei von Gesellschaftlichen oder Kapitalistischen Regeln, und Verpflichtungen.Auf gut deutsch: Es soll eine Kommune gegründet werden. Ob das funktioniert? Anfangs hat sich diese Frage gar nicht gestellt.

Gleich beim Erkundungstrip werden erste Beete angelegt. Häuser konstruiert, die Ideen sind groß, die Träume greifen über.
Doch schon bald, mehr oder weniger von Anfang an, meint Hans-Peter, gibt es Spannungen. Zum Beispiel die Lustfraktion, die es mit der Arbeit nicht allzu ernst genommen hat, die es vorziehen, ‚das Leben im Moment zu genießen‘. Und dann gab es noch die Fundamentalökos. Die konnten sich natürlich überhaupt nicht vorstellen, warum man hier im Paradies mit Fleisch kochen solle. Andere sind gar gegen das Rauchen unter freiem Himmel aufgetreten.

Blick von Sarakinkio’s Plateau aufs Meer

Es war schwierig Entscheidungen für alle zu treffen. Denn es galt anfangs das Konsensprinzip. Nur wenn es keine weitere Gegenstimme gab, ging es an die Umsetzung. Diskussionen können manchmal Tage dauern, selbst für einfache Beschlüsse.
Später irgendwann beschließt man, nicht zuletzt auch zum Wohle der Gruppe, eine einfache Zweidrittel-Mehrheit sei ausreichend, um den Großteil der Entscheidungen in die Praxis zu bringen.
Idealismus wächst nah am Herzen. Es führt dazu, dass verschiedene Gruppen versuchen ihre Vorstellungen durchzusetzen. Die einen wollen eine Zufahrtsstraße die Anderen finden etwas Anstrengung muss man schon mitbringen, wenn man ins Paradies will. Es soll ja kein Touristendestination werden. Lösung fand sich keine.
Bis eines Morgens die Schläuche der Asphaltiermaschine durchgeschnitten waren.

Die Fähre dockt am kleinen Port von Ithaka an. Ich frage mich, ob Rolf, der mich abholen wollte, meine SMS bekommen hat. Ob man in der Hippie Landschaft überhaupt online ist. Eine Webseite hat er ja, auch wenn auch diese eher dürftig zusammengebaut, und wohl schon länger nicht mehr gewartet worden wurde. Zumindest bin ich so auf das Projekt gestoßen.

Als ich ihn aussteige, weiß ich schon im ersten Moment wer er ist. Weiße Haare, und blitzenden Augen stechen heraus. Ehemaliger Manager und Trainer, seit 40 Jahren Experte im Leben ausserhalb des Systems.
Heute bekäme er Rente, wenn er sein Leben durchgearbeitet hätte.Wirtschaft ist auch das Gesprächsthema, während wir uns im alten Daihatsu durch die hügelige Insellandschaft kämpfen. Er kennt sich aus. Aussteigerleben heißt nicht auf aktuelle Informationen zu verzichten.Sarakiniko liegt östlich der Kleinstadt Vathi. Auf einem länglichen Hügel, eine kleine Zunge die sich ins Meer streckt.

Blick auf Sarakiniko (links)

Starke Vegetation, vor allem die stark abfallenden Seiten sind überwachsen mit Büschen und alten Bäumen. Hin und wieder lugen kleine Behausungen hervor, die durch ein wirres System von Pfaden miteinander verbunden sind. Ganz oben am Plateau, weiden die Ziegen, eine paradiesgleiche Grüne Ebene, auf Steinterrassen und bis zu tausend Jahre alten Olivenbäumen. Überbleibsel einer lang vergangenen Kultur. Von den Sarakiniko’s wiederbelebt und kultiviert. Rolf wohnt etwas abseits der Siedlung. Auf dem kleinen Hügel sieht man raus aufs Meer, und hat einen guten Blick rüber auf die Halbinsel.

Klara & Rolf

Märchenhaus könnte es besser nicht beschreiben. Das alte Steinhaus wurde über die Jahre in alle Himmelsrichtungen erweitert. Der Vorgarten ein Sammelsurium von Kuriositäten, Werkzeugen, und Müll. Kuno der Labradormischling ist der erste der uns begrüßt. Freudig wedelnd, schlängelt er sich den engen Pfad zwischen Brennholz, alten Sesseln und aufgehängter Wäsche entgegen.

Das Heim von Klara und Rolf
Rolf’s Lesesessel

Klara die Dame des Hauses treffe ich in der Küche, die wenig überraschend genau so wundervoll, zusammengewachsen aussieht, wie man es sich von aussen vorstellen würde. Sie kocht gerade am Gasherd, heißes Wasser auf. Ob ich Cowboykaffee mag? Gern.

Die Märchenküche
Die nächsten Tage hat alles einen etwas anderen Geschmack. Den Duft einer anderen Welt. Es ist Ort, wo Träume und Gedanken praktiziert werden. Wo jeder als sich selbst, frei und alleine als Mensch steht.
Hier esse ich Hühnerleber und Fleisch das im Supermarkt eigentlich für Hunde verkauft wird. Ich trinke hausgemachten Kefir und Wasser aus der Regentonne. Vielleicht ist es weniger was wir essen, sondern mehr wie es sich anfühlt, wenn wir es essen. Hier ist alles gut, fühlt sich gesund an.

Die Zisterne. Dürfte noch aus Römerzeiten sein.
Freiluftklo mit Meerblick

Ich genieße die Tage, erst im Nachhinein wird mir klar, dass es doch viel anders ist, als das was ich eigentlich kenne. Während man dort ist scheint es nämlich überhaupt nicht fremd. Die Zeit fließt natürlich dahin, man steht auf wenn man aufsteht, und geht ins Bett, wenn das Abendessen und die Gespräche vorbei sind. Alles was passiert, entsteht aus dem Frage und Antwortspiel zwischen zwei Menschen, oft nicht ausgesprochen, man macht was passt.

Untertags besichtigen wir Rolf’s neuestes Projekt, mit dem er etwas Geld einnehmen will. In einer verlassenen Bucht, klettern wir auf Jahrhundertalten Steinterrassen, und starker Vegetation runter Richtung Strand. Rolf zeigt nach oben. Dort, auf dieser obersten Ebene soll der Wohnwagen hinkommen, die Urlauber können dann dem kleinen Pfad zwischen den Bäumen und Büschen folgen, runter zum paradiesgleichen Strand. Ein Urlaubsort, wie es nur wenige gibt. Jeden Tag werden wir hier etwas mehr Platz freischaufeln, und am Rückweg nehmen wir immer etwas Holz mit, für zuhause. Zweige der Olivenbäume werden sogleich abgebrannt, wegen des Öls brennen sie auch im nassen Zustand wie Zunder unter lautem Knistern.

Untertags erkunde ich immer wieder Mal das Gelände Sarakinikos. Ab und zu findet man eines der Märchenhäuser, wenn man den Pfaden folgt. Oft sind sie unbewohnt. Dienen nur mehr als Teilzeitwohnung. Einer der ältesten Bewohner, Mike räumt gerade seinen Garten mit Hilfe eines neuen Zuzüglings auf.

Auf dem Plateau steht noch die Bücherei aus Anfangszeiten. Lesesessel, eine tolle Auswahl alter Bücher und auch das damals eingeführte Magazin, um die Leute daheim und die Interessenten auf dem Laufenden zu halten.
Es gibt kaum einen besseren Ort, um einen Regenschauer abzuwarten.

Die Bücherei
Einige alte Ausgaben des Sarakiniko Magazins.
Eine der versteckten Buchten. nur mit Kraxlaufwand zu erreichen.

Ich treffe noch Hans-Peter um den Ausbaustand seines Hauses zu besichtigen. Er ist ja erst seit 10 Jahren dabei. Neuankömmlinge sind in den letzten Jahren selten geworden. Dafür mehr Teilzeitaussteiger, nur eine Hand voll Gründungsmitglieder, meist offene freundliche Leute, halten derzeit noch die Stellung im Paradies.

Free and Real

Aus dem Internet geboren

Die Zukunftsvision des Telaithrion Projekts

Nach einem Zwischenaufenthalt in Athen, fahre ich weiter auf die nahegelegene Insel Euböa. Dort haben sich eine Gruppe von jungen Leute zusammengeschlossen, um eine Alternative zum aktuellen Leben zu finden, mit Lösungen zu experimentieren, und diese auch zu verbreiten.

Begonnen hat all das, wie so vieles heutzutage virtuell, im Internet, im Januar 2009, wo sich eine Handvoll Interessierte in Foren über mögliche Alternativen ausgetauscht haben. Bis einer davon etwas Land bekommen hat, und das ganze dann immer konkreter wurde. Daraus entstand ein Kernteam, die die Leitung des Projektes innehat. Trotzdem gibt es keine Hierarchie, jeder der Ideen hat, und mitarbeitet, ist gleichwertiger Teil des Projektes.

Das Testgelände. In diesen Jurten wird übernachtet.

 Neben den Grundstück, am Berghang, wo in Zukunft das komplette Nachhaltigkeitsprojekt laufen soll, gibt es noch den Workshop, gelegen im Tal wo untertags gebaut und gebastelt wird. Abends gehts zum Testgelände, wo schon ein Permakulturgarten, und 3 große Jurten zum Übernachten stehen.

gemeinsames Abendessen im Workshop

Der Bus setzt mich im Dorfzentrum ab. Der Workshop ist keine 5Minuten entfernt.
Neben der großen Werkstatt gibts es einen Garten einen Schuppen der als Gemeinschaftsraum dient. Abends wird gekocht. Eine große Mahlzeit pro Tag, das reicht für den Körper erklärt man mir.  Untertags gibt es Früchte. Das sei gesünder und natürlicher. Man ist gut informiert, und engagiert. An jeder Ecke findet man überraschend gut reflektiertes Wissen, Kisten mit rare Samen und Pflanzen, und Versuchsaufbauten. Der Austausch mit Experten aus verschiedensten Kreisen, vereint mit der Power des Internets schafft viele neue Möglichkeiten, die auch das Aussteigerleben viel einfacher machen, als man es sich vorstellen würde. Diese Wissen wird dann, so sieht es das Konzept vor, an interessierte Griechen weitergegeben. Die Workshops helfen der Gemeinschaftskasse, und verbreiten das Wissen.
Auch dieses Wochenende kommt eine gemischte Gruppe, alle gespannt auf neue Lebensalternativen.

make your own soap.

Es wird zusammen in Jurten geschlafen, untertags lernt man alles Mögliche: dass es sehr einfach sein kann Zahnpasta und Seife herzustellen, dass gutes Brot keine Hexerei ist und wie man Marmelade einkocht. Man besucht Käsehersteller und besichtigt das Gelände.

Das Thema findet Anklang. Nicht nur wegen der Krise, die viele zurück in die Familien oder raus aufs Land zwingt, manche lockt auch der Trend ‚des guten Lebens‘. Minimalistischer leben, weniger arbeiten, mehr Zeit für sich und Freunde, weg von der sich immer mehr beschleunigenden Informationsflut. Ich war wirklich überrascht, wie gut so ein Projekt funktionieren kann, wenn es im Saft ist. Natürlich ist auch hier jeder Tag aufs Neue verschieden, vieles hängt von der Gruppe ab. Manchmal wird einfach länger geschlafen, und der Vormittag vergammelt, denn auch hier ist jeder frei das zu tun, was er möchte. Doch der gemeinsame Strang ist präsent, und neben der Vision, hat man hier auch als eine Art Familie. Das Ziel ein Nachhaltiges Modelldorf zu entwickeln, steht ganz oben, doch so wie Apostulus sagt, braucht es Zeit. Ein Baum wächst auch nicht von heute auf morgen. Das Geld kommt derzeit von den Workshops und freiwilligen Spenden. Das reicht um langsam Richtung Ziel zu marschieren. Denn das Wichtige ist ja nicht ein zukünftiges Erlebnis, sondern wie man den Weg geht, und das man dabei Erfahrung und Wissen teilt.

Der erste Dome steht schon

Am nächsten Tag fahren wir rauf aufs Plateau, es ist ein langer und schlecht ausgebauter Bergweg. Nach gut 30Minuten Fahrt, sehen wir bereits den großen Hauptdome. Hier werden in unregelmäßigen Abständen schon Yoga, Meditations und Nachhaltigkeitskurse gegeben. Unlängst wurde das Wasserreservoir ausgegraben und die ersten Gärten, und Wege angelegt. Alles ist gut geplant, doch die Übersiedelung von Testgelände nach oben steht noch in ferner Zukunft.
Es gibt noch jede Menge Arbeit zu tun, doch es gibt auch viele Helfer. Die Familie um Free and Real ist groß, und viele kommen aus ganz Griechenland, nur um ein paar Tage zu helfen, oder um mit den Aussteigern zu leben. Manche entdecken es gar für sich und bleiben, oft auf unbestimmte Zeit.

Auf Kreta

Für mich geht es jetzt wieder zurück nach Athen um am Abend in Piraeus die Fähre nach Kreta zu nehmen. Durch das riesige Maul schlängle ich mich zwischen Autos, Bussen und Trucks zur Passagiertreppe. Solche riesigen Schiffe haben, wie ich finde, immer eine besondere Atmosphäre. Gerade über Nacht, wenn man an den Luken den stürmischen Ozean betrachten kann. Ich habe aus Kostengründen nur einen Sitzplatz gebucht, verbringe die Nacht aber am Boden zwischen den Sitzreihen, es sind sehr wenige Leute in mit Flugzeugsitzen gefüllten Decks, und die Fernseher schreien Müll vor sich hin. Ich schicke Ingrid noch eine SMS, dass ich morgen ankomme, und versuche eine Route ausfindig zu machen.
Sie ist eine sehr umtriebige Person, eine Österreicherin, die nach ihren Hippie Zeiten ausgewandert ist, und jetzt dort im Hotel ihres Mannes ein kleines Yoga Resort führt.

Olivenhain auf Kreta

Sie sei eine unglaublich positive Person, wurde mir in einem Hostel in Albanien erzählt. Sie kenne hier Gott und die Welt. So habe ich sie angerufen, und tatsächlich, eine ihrer Freundinnen ist lebt nicht weit entfernt in einer autarken Jurte, mit Garten und Tieren.
Gefühlsmäßig hat das das alles gut geklungen, also spaziere ich jetzt mit meinen Rucksack nach einen kleinen Frühstück im Hafencafe, an der Küstenstraße entlang, Richtung Yoga Resort. Alle Türen stehen offen, und keiner ist da. Ich setze mich auf die meeresseitige Terrasse und zeichne. Kurze Zeit später taucht Ingrid auf, umarmt mich, und sprüht vor Energie. Sie ist froh hier einen Landsmann zu treffen. Wir reden über Gott und die Welt. Sogleich bin ich für die abendliche Meditation gebucht. Irgendwas mit Persönlichkeit, und Ängste lösen. Klang zuerst sehr esoterisch, war aber dann doch eine interessante Erfahrung.

Joelle und Lopez.

Es geht späteren Tages weiter zu Joelle, die wie sich herausstellt nicht nur in einer Jurte, sondern in einem State of the Art Aussteigerhaus mit Solar, Photovoltaik, 2 Bädern wohnt. Die Jurte ist mehr so ihr Arbeits- und Lieblingsort, weil neben der Form, das Raumklima einfach toll ist. Daneben steht noch ein alter Wohnwagen, der mein Domizil wird. Hier sind normalerweise Volontäre von helpx.net untergebracht, und gegen Kost und Logie, geholfen haben all das hier aufzubauen.

Das Häuschen.

Es ist ja auch noch nicht so lange, dass sie die gebürtige Französin, alles aufgegeben und sich hier ausserhalb der Stadt niedergelassen hat. Zusammen mit Lopez, einem Gitarrenvirtuosen aus Mali. Zwei Hausgenossen die unterschiedlicher kaum sein könnten. Joelle ist immer voller Energie, und findet nichts besser als den ganzen Tag, am Haus oder im Garten zu arbeiten. Und nebenbei noch Bowen Therapie zu geben.
Den genauen Wochentag kennt sie meistens nicht, die Zeit läuft und läuft, sagt sie lachend. Lopez, der Gemächliche, sieht überhaupt keinen Grund mehrere Dinge auf einmal zu beginnen, oder sich bei einer Zigarette zu stressen. Alles braucht seine Zeit. Und in seiner Umgebung fließt diese eben langsamer. Ein gutes Team, sie die energetische, er der Stille.

Die nächsten Tage sind wir bei der Olivenernte, und beim Beschneiden der Bäume. Holz wird gesammelt für den Winter. Und oft bedarf es einiger Überzeugungskraft oder Geheimtricks um den alten Esel zum Bewegen zu zwingen. Er kennt das Arbeitspensum genau.

poule flambè

Es kommen oft Leute vorbei, man kennt die (weit entfernten) Nachbarn, und die Leute in der Stadt. Viel wird gelacht.

Joelle’s Jurte.

Es ist Vollmond. Und da ist das Haus immer voll. Zuerst gibt es eine mystische Meditation in der Jurte, danach gemeinsames Essen. Viele Leute hier auf Kreta sind Zuwanderer. Es ist fast wie die Essenz des Menschseins, man merkt das man doch sehr bedürftig nach sozialen Kontakten ist, das man als Mensch (und Tier) doch sowieso im gleichen Boot mit allen Anderen sitzt, und jeder Fremde auch Freund sein kann. Es war eine schöne Zeit hier. Gut zu sehen wie viele Spielarten es denn eigentlich gibt, um freier vom System zu leben.

Allen gemeinsam war, dass sich der Atem und Rhythmus der Natur der sich nach einigen Tagen unweigerlich einstellt. Das Stress etwas ist, das in so einen Leben keinen fruchtbaren Boden findet. Und wie wichtig in solchen Situationen das Miteinander mit Freunden und Gleichgesinnten ist. Denn das ist neben der Freiheit ein unbezahlbarer Grundstein. Das jeder Tag, und Moment einfach natürlich entstehen kann, und jeder die Freiheit hat, das zu tun (oder nicht tun) was er will. Die Rechenschaft gilt nur sich selbst. Und das das, was oft an Komfort so unverzichtbar scheint, überhaupt nicht fehlt, wenn man einmal in anderen Gewässern eingetaucht ist.

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